"Und der Fisch spie Jona an Land -
Zur tiefenpsychologischen Deutung biblischer Geschichten"
Redner: Dr. Dr. Eugen Drewermann, Tiefenpsychologe und Theologe, Paderborn
Ort: Urania
Termin: Mittwoch 10.10.2001, 19.30 Uhr

 

"Und es erging das Wort des Herrn an Jona, den Sohn Amitthais: Auf gehe nach Ninive, der grossen Stadt, und predige wider sie; Denn ihre Bosheit ist vor mich gekommen". (Jona 1,1/1,2)


"Wer das Buch Jona versteht, versteht das gesamte alte Testament", beginnt Eugen Drewermann am 10.10.2001 in der Urania seinen Vortrag über das 10 prophetische Buch "Jona" des alten Testaments. Wer also die Botschaft dieser 3 Seiten begriffen hat, verstehe auf welchen (einfachen) Grundlagen nicht nur das Judentum, sondern somit auch das Christentum und der Islam stehen.
Eugen Drewermann, der Ende der 90er Jahre vor allem bekanntgeworden ist durch den Streit über die Abtreibungsfrage mit dem damaligen Paderborner Erzbischof Degenhardt (mittlerweile zum Kardinal ernannt), setzt sich für eine kritisch-historische Erforschung und Deutung der Bibelgeschichten ein. Denn die Bibel ohne Kritik, ohne geschichtliche Zusammenhänge, ohne gesellschaftliches Bewußtsein wirke wie Gift. Eine Bibel-"Deutung" nach Art der katholischen Führungselite, wo Jungfrauengeburt Jungfrauengeburt, Auferstehung Auferstehung, eine Wundertat eine Wundertat ist, zerstöre den Glauben. Schlimmer noch, kann man fortsetzen, eine Auffassung über ein religiöses Bekenntnis, die dieses "prinzipiell" über andere Bekenntnisse stellt, wie manche Bischhöfe nach Ansicht Drewermanns meinen und der Repräsentant dieser Religion, mithin also auch der Urahn jedes einfachen Christen, der übermenschlich ist, fördern Intoleranz, Arroganz und Ignoranz gegenüber fremden Glauben und in Folge, gegenüber fremden Kulturen. Und so müsse man auch das Buch Jona und alle übrigen Bibelgeschichten verstehen: als Dichtung, die im historischen Sinne falsch sei, auf einer anderen Ebene aber Wahrheiten transportiere. Wahrheiten über den Menschen im Allgemeinen, über das Selbst, über das Zusammenleben von Menschen. Als symbolische Ausdrücke von utopischen Zuständen, von Wünschen auf eine bessere Welt, aber auch von Elend und menschlichen Unzulänglichkeiten, die häufig eingebettet sind in (verfremdete) historische Kontexte und Ereignisse. Worum geht es im Buch Jona? Und warum nimmt diese kleine Geschichte für Drewermann eine zentrale Stellung in der Bibel ein?
Es geht, ganz allgemein, um die Erkenntnis des eigenen Selbst und dessen Akzeptanz als Grundlage für Menschlichkeit.

Eine prähistorische Satire

Drewermann las den Text des Buches Wort für Wort vor, bat aber darum, weniger auf den Inhalt zu achten, als mehr auf den Schreibstil und die Gefühle, die dadurch in einem selbst ausgelöst werden. Unweigerlich achtet man aber nun doch auf den Inhalt, gerade wenn man die Geschichte noch nicht kennt. Und auch in Anbetracht eines Schreibstils, der mit unserer heutigen Prosa nicht mehr zu vergleichen ist, ist es schwer, überhaupt ein Gefühl beim Lesen oder Hören des Textes zu gewinnen; ein Umstand, der sicher auch auf die anderen Bibelgeschichten zutrifft und ein Grund sein könnte, weswegen man vor der Lektüre der Bibel eher zurückschreckt. So wie heute in Bezug auf z.B. Artikel in Zeitungen, führte Drewermann aus, sei auch bei den Bibelgeschichten das Genre oder der Stil, in denen sie überliefert sind, von großer Wichtigkeit. Denn die Bedeutung eines Textes sei stark abhängig davon, in welcher Form er erzählt wird: ob als reiner Prosatext, ob als Gedicht, als Märchen oder als Satire - der Inhalt kann der gleiche sein, aber die Bedeutung wandelt sich. Das Buch Jona sei in einfachster, fast naiver Sprache verfasst, jedoch voller zum Teil sarkastischem, aber liebevollem Hintersinn; wenn das Buch heute geschrieben worden wäre, wäre wahrscheinlich ein satirischer Essay herausgekommen. Und tatsächlich, nachdem Drewermann uns diese Deutung gegeben hat, sah ich den Text aus einer anderen, vielleicht weniger Bibel-respektvollen, Perspektive.
Jona ist schon eine ziemlich lächerliche Figur: erst flieht er vor seiner Verantwortung, den Heiden in Ninive zu predigen ausgerechnet auf ein Schiff, dass nur so von Heiden wimmelt, dann verschließt er die Augen vor dem Unvermeitlichen (legt sich zum Schlafen hin), will dann lieber sterben und schließlich, als er im Grunde das erreicht hat, was er wollte und im Bauch des großen Fisches von allen und jedem für alle Zukunft zufrieden gelassen werden kann (oder um es tiefenpsychologisch zu deuten: den Raum der tiefsten Sehnsucht des Menschen gefunden hat - der Fischleib als Sinnbild für den Mutterleib), empfindet er diesen Zustand plötzlich als unerträglich (der Fischleib auch als Sinnbild für den "Gefängnisraum der Verzweiflung") und will mit einem Male doch das tun, was Gott ihm befahl. Doch nachdem er seinen Auftrag ausgeführt hat, ist er immer noch nicht glücklich, ärgert sich darüber, dass nur geredet und nicht gehandelt wird und verfällt am Ende in eine lebensverneinende zornige Grundhaltung. So gesehen muss man sich wirklich fragen, ist dieser Mensch eigentlich jemals zufrieden mit dem, was er tut?

Die Bedeutung

Gerade hinter dieser permanenten Unzufriedenheit Jonas und seiner lächerlichen Existenz verbirgt sich die Botschaft der Geschichte. Jona sind wir. Jona ist der Mensch, der permanent vor sich selber flieht, nicht wahr haben will, wie er wirklich ist, seine innersten Bedürfnisse und Bestrebungen nicht anerkennt, weil sie ihm irgendwie nicht in den Kram passen oder der etwas anderes darzustellen versucht, als er ist. Oder in den Worten von Albert Camus, den Drewermann mehrmals zitiert: ein Mensch, der sein innerstes Ich nicht anerkennt, lebt eine "Jona-Existenz". Dass aber eine Erkenntnis und Anerkennung des eigenen Selbst nicht so einfach ist wie es zunächst erscheint, zeigt sich spätestens in Jonas Reaktion auf Gottes ausbleibende Taten. Denn etwas tun oder auch eine Einstellung zu etwas entwickeln bedeutet noch lange nicht, auch mit voller innerster Überzeugung dahinter zu stehen. Denn wenn man wirklich zu dem Menschen geworden sei, der man ist, werde man zum wahren Christen (und man kann ergänzen, zum wahren Juden, Moslem, Hinduist...), so Drewermanns Folgerung. Das bedeutet, man handele, wie Gott es in dem Fall der Jona-Geschichte tut: mit Barmherzigkeit, Verständnis und Toleranz gegenüber anderen Menschen. Dann zählten Attribute wie Beruf, Herkunft, Nationalität, Glauben, Geschlecht, Alter usw. als Bewertung des Menschen nichts mehr.
Diese Deutung der Jona-Geschichte beantwortet im Grunde die Frage, um die der Vortrag die ganze Zeit kreiste: "Wie ist wirklicher christlicher Glaube zu greifen und zu ergreifen?" Schließlich werden wir alle von Geburt an, durch die "Taufgnade", sozusagen automatisch zu Christen; das Christ-Sein ist naturalisiert. Aber wozu führt das Verständnis eines Gnadentums von Geburt an ohne einen Werdeprozeß? Es führt zu einem Exklusivitätsdenken: Wir (die Christen,...) vertreten die Wahrheit, wir sind im Recht, wir sind die besseren Menschen usw.; es führt dazu, dass man sich im Recht (Gottes) wähnend, Unrecht tut.
Der Schritt zu den aktuellen Ereignissen ist nur klein und lag während des gesamten Vortrags förmlich in der Luft. Drewermanns Stellungnahme dazu war dann auch eindeutig: "Unendliche Gerechtigkeit paßt nicht auf endliche Menschen", "sind wir denn himmlische Chirurgen, die das Böse im OP beseitigen" oder den Roman
Moby Dick heranziehend, der nach Meinung Drewermanns einige Parallelen zu dem Buch Jona aufweise: "es ist nicht möglich, das Böse zu jagen und zu bezwingen", man sorge dadurch nur für seinen eigenen Untergang.

Der Vortrag

Ein sehr beeindruckender Vortrag, in dem Drewermann sprunghaft von einem emotionalen Zustand in den entgegengesetzten wechselte; von einem extrem sanften, fast etwas naiven, Mitleid mit den "einfachen Menschen", die in ihrer Orientierungslosigkeit häufig "einfach nicht wissen, wo recht und links, gut und böse ist", bis hin zu einer bissigen Wut gegenüber der Unbeweglichkeit, Arroganz und Intoleranz vieler Kirchenvertreter. Auch ein Vortrag, der sehr informativ war, vor allem deswegen, weil Drewermann viele Seitenblicke auf andere literarische Werke warf, auf Camus, Kirkegaard, Melville und für den der historische Kontext wichtig ist. Mich beeindruckte vor allem Drewermanns Sprache und Sprachstil: Einerseits sehr erzählerisch-informativ, so dass man gerne und leicht folgen konnte, andererseits sehr weich, harmonisch und "friedfertig". So ist sein Stil auf einer ungewohnten, manche würden vielleicht einfach sagen: pastoralen, Sprachebene anzusiedeln und unterscheidet sich angenehm von dem, was man, gerade in jüngster Zeit, überall zu hören und zu lesen bekommt. Ich denke, eine solche Sprache sollte öfter gesprochen werden. Sie würde uns vielleicht ja auch eine andere Sicht auf die aktuellen Ereignisse erlauben, ohne dass man beim Diskutieren über Krieg und Frieden als Vertreter der zweiten Position ständig in "Argumentationsnot" gerät, wenn es um die Frage geht: "was würdest du denn tun?"

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